Reisebericht Nova Scotia

Die “Arrow”, der Hummer und der Beluga

Zerklüftete Felsenküsten, menschenleere Sandstrände, idyllische Fischerdörfer, Wildnis in üppiger Fülle, Bilderbuch-Sonnenuntergänge, und dann plötzlich sprichwörtlich wie aus heiterem Himmel Regenschauer und Nebelbänke, die Landschaft und Meer geheimnisvoll einhüllen, und schließlich außergewöhnliche Tauchgründe in kaltem Wasser: Von den etwas anderen Taucherlebnissen in der kanadischen Atlantikprovinz Nova Scotia (Neuschottland) berichtet Arnd Rödiger.

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Seit etlichen Jahren reizt es uns immer häufiger, die bekannten Pfade des pauschalen Tauchtourismus in Richtung Mittelmeer, Indo Pazifk, Karibik oder Mittelmeer zu verlassen, um neue Erfahrungen zu sammeln. Von Reisen nach Norwegen, Neuseeland oder Britisch Kolumbien wissen wir, wie abwechslungsreich und aufregend Tauchabstiege in die Unterwasserwelt kälterer Regionen sein können. Gewiss, das oftmals eher unbeständige Wetter und die mit 3 bis 10 Grad C. recht kühlen Wassertemperaturen erscheinen nicht gerade verlockend im Vergleich zu den Tauchbedingungen, wie sie in den tropischen Korallenmeeren vorzufinden sind. Doch wo andere frösteln, wird uns warm ums Herz!

In wärmende Tauchanzüge verpackt und mit einer Portion Neugier “ausgerüstet” ist die Kälte schnell vergessen, und die Tauchabstiege in nördlichen Breiten werden zu einem lohnenden, wenn nicht gar zu einem unvergleichlichen Abenteuer. Ganz oben auf unserer Hitliste „kalter Tauchdestinationen“ steht so seit einigen Jahren Nova Scotia, eine der östlichen Provinzen Kanadas.

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Hier zieht es uns insbesondere hinauf nach Janvrin`s Island auf Cape Breton, dem nördlichen Teil dieser kanadischen Atlantikprovinz, etwa 320 km von der Provinzhauptstadt Halifax entfernt. Dort betreibt der Marlin Tauchservice von Ingo Vollmer ( Marlin Diving Enterprises Inc.) auf dem Gelände des elterlichen Resorts “Vollmer’s Island Paradise“ ( VIPI Lodge) während der Sommermonate eine Tauchbasis, eine Garantie, dass der tauchende Besucher sich nicht nur in absoluter Abgeschiedenheit und Ruhe erholen kann, sondern vor allem auch die schönsten Tauchgründe dieser abgelegenen Gegend kennenlernt.

Das Wrack der “Arrow”

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Dieses ist zweifellos die Hauptattraktion vor Janvrin’s Island. Wann immer es die Wetterlage erlaubt, steuert die „Tury“, das Tauchboot der Basis, das genügend Platz für ein Dutzend Taucher bietet , diesen ehemaligen Tanker von ca 300 Meter Länge an.,dessen Name auch schon einmal „Sea Robin“ und „Olympic Games“ lautete . Der Untergang vor 35 Jahren am 2. Februar 1970, über deren Ursache auch heute noch spekuliert wird, verursachte eine erste grosse Ölkatastrophe, deren Spuren heute über 3 Jahrzehnte später freilich nahezu alle verschwunden sind. Der Tanker brach seinerzeit auseinander, und so liegen der Bugteil und der etwa 150 Meter lange Heckteil einige hundert Meter voneinander entfernt in Tiefen bis zu maximal 27 Metern.

Für Taucher am interessantesten ist der mit den diversen Aufbauten noch recht gut erhaltene Rückteil des Wracks. Die Wrackstelle im offenen Meer liegt etwa 30 Minuten vom Ufer entfernt im offenen Meer und ist mit einer Boje gekennzeichnet, sodass es keine Probleme gibt, sie schnell zu finden. Der Abstieg erfolgt ebenfalls unproblematisch entlang der Befestigungsleine hinunter aufs Heck, das nur 8 Meter unter der Wasseroberfläche liegt. Was immer der weitgereiste Taucher schon bezüglich untergegangener Schiffe selbst in tropischen Regionen gesehen haben mag, er wird auch von der „Arrow“ nicht enttäuscht sein. Dem Auge bietet sich ein wahrhaft geheimnisvolles Zauberschloss, überwuchert von leicht sich hin und her bewegenden Laminarien und und nahezu völlig bedeckt von Tausenden von gelben und orangefarbenen Seerosen und Seenelken. Und dazwischen haben sich andere festsitzende Tierkolonien angesiedelt, wie Fingerschwämme, Manteltiere, Muscheln und Moostierchen, wobei sich die Farben auf die sanften und zarten Pastelltöne beschränken.

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Dazwischen krabbelt, turnt und schwimmt eine Vielzahl anderen frei beweglichen Getiers herum, das sich im Laufe von drei Jahrzehnten dieses Riff aus Stahl und Eisen als Schutzburg und Wohnstatt erkoren hat. Seesterne der verschiedensten Arten kriechen langsam durch den Seenelkenwald und über die Laminarienblätter. Krabben und Seespinnen bewegen sich behende über Reling und Winden, und selbstverständlich tummeln sich auch eine Menge Fische im und rund ums Wrack. Plattfische und Skorpionsfische liegen gutgetarnt an Deck, Dorschartige und Lippfische schwirren umher, und Lumpfische, auch Seehasen genannt , haben sich mit ihren Brustflossen an einem Laminarienblatt festgesaugt oder verteidigen zu bestimmten Zeiten vehement ihr Gelege, das sie beispielsweise an einer Winde befestigt haben. Schließlich lohnt es sich auch, einmal die senkrechte Bordwand bis auf den Meeresboden hinabzutauchen. Dort hat ein Seewolf zwischen einigen losgelösten Wrackteilen seinen angestammten Platz. Und mit ein wenig Glück taucht neben einem urplötzlich ein neugieriger Seehund auf, der aufmerksam die Aktivitäten des Fotografen verfolgt, selbst aber schleunigst reißaus nimmt, wenn sich die Kamera auf ihn richtet.

Ein unvergeßliches Erlebnis ist schließlich ein Tauchgang hinunter zum Wrack nach Sonnenuntergang. Nachts verändert das Meer seinen Lebensrhythmus. Nicht anders ist das hier. Fast alle Seerosen und Seenelken haben in der Dunkelheit ihre Körper aufgerichtet und ihre Tentakelkronen weit ausgebreitet. Sie nutzen nachts das erhöhte Aufkommen von Plankton zur intensiven Nahrungsaufnahme. Der Schein der Unterwasserlampen gleitet über eine Märchenlandschaft lebender Organismen und ertappt auch manch scheues Lebewesen wie den Seeraben. Nur der zur Neige gehende Luftvorrat und die nach einer dreiviertel Stunde doch spürbar werdende Kälte zwingt zur Rückkehr an die Oberfläche.

Der Hummer

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Die „Arrow“ kann wahrlich süchtig machen, und es fällt nicht eben leicht, auch einmal andere Tauchplätze rund um Janvrins Island in Augenschein zu nehmen. Dennoch sind sie in einem Bericht wie diesem unbedingt zu erwähnen. Da wären insbesondere die stählernen Reste des sogenannten „Old Wreck“ unweit der „Arrow, vor allem aber die Felsenriffe rund um Green Island und der Cerberus Rock sowie der Orpheus Rock. Die Tauchtiefen reichen dort bis etwa 30 Meter, und die Felsriffe sind teils eingehüllt in üppigen Laminarienbewuchs, teils dicht besiedelt von Muschelkolonien. Hier ist ebenfalls die gesamte marine Fauna zu Hause, wie wir sie schon von der „Arrow“ kennen gelernt haben.

An diesen Tauchplätzen besteht jedoch die erhöhte Chance, einmal einen der beeindruckensten Krebstiere nicht nur rot gekocht im Feinschmeckerrestaurant sondern in freier Wildbahn zu Gesicht zu bekommen: den Hummer, genauer gesagt dem „Homarus americanus”, dem grösseren amerikanischem Vetter unseres Nordseehummers. Das schwerste Exemplar, das jemals an der amerikanischen Nordostküste aus dem Wasser gefischt wurde, war 80 cm lang und wog mehr als 15 kg. Im Winter zieht sich der Hummer in tieferes Wasser zurück, wo er sich in Sand oder Schlickböden eingräbt, sodass nur Fühler und der Kopf zu sehen sind.

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In den Sommermonaten kehrt er in flachere Zonen zurück und ist meist in Felshöhlen und Gesteinspalten anzutreffen. Oder in einer Reuse. Doch Achtung: Hummer sind in Nova Scotia und in Newfoundland ein ganz besonderes Wirtschaftsgut, welches durch entsprechend rigorose Gesetze geschützt ist. Für eine Fanglizenz sind 150.000 kanadische Dollars zu entrichten, und Fangquoten und Fangzeiten werden strengstens reglementiert und überwacht. Selbst die Hummerkörbe werden ausserhalb der erlaubten Fangzeiten „an die Kette gelegt“ und mit einer Plombe versehen. Hummerklau wird strengstens bestraft. Dies erfuhr selbst ein ranghoher Marineoffizier, nachdem einige Untergebene ihren Speiseplan mit einem illegal gefangenen Hummer abwechslungsreicher gestalten wollten. Als verantwortlicher Vorgesetzter büsste er das Vergehen mit einem Rausschmiss. Wer sich also einmal diese kulinarische Köstlichkeit gönnen möchte, kaufe sich eine solche im Supermarkt oder verspeise sie im Restaurant. Übrigens, so schön das Rot eines gekochten Hummers auch leuchtet, lebend und in seinem Lebenselement sieht er weitaus prachtvoller aus. Seine Farbgebung ist ein herrliches Rotbraun oder dunkles Blau oder schwarzes Violett, garniert mit helleren grünen, bräunlichen oder rötlichen Flecken. Imponierend ist sein Anblick, wenn er dem Taucher mit seinen hocherhobenen und Respekt einflössenden Brech und Knackscheren aus einer Felsspalte entgegenkommt. Eine solche Szene auf den Film zu bannen, gehört sicherlich zu den fotografischen Highlights einer Taucheise nach Neuschottland.

Ungewöhnliche Begegnungen mit Walen

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Cape Breton wie ganz Nova Scotia haben sicherlich viele weitere Tauchplätze für erlebnishungrige Taucher und Unterwasserfotografen zu bieten. Und Beobachtungen von neugierigen Seehunden, tonnenschweren Mondfischen und der verschiedensten Walarten, zumindest vom Boot aus, liegen bei den Fahrten zu den Tauchplätzen immer wieder einmal im Bereich des Möglichen. Ihnen im Wasser zu begegnen, bleibt allerdings ein Glücks- und Zufall. “ Buchen “ kann man Erlebnisse solcher Art gewiss nicht. Dennoch soll an dieser Stelle von einem Beluga berichtet werden, weil es Ingo Vollmer gelang, dessen Zutraulichkeit und Verspieltheit in einer beeindruckenden Bildserie festzuhalten. Eines Tages tauchte er, ein gerade erwachsenes Tier von etwa 3 Meter Länge, als Einzelgänger auf, und womoglich in Ermangelung eines anderen Spielkameraden, erkor er sich eben die Taucher als solche und trieb seine Spielchen mit ihnen. Belugas, von ihnen sollen noch etwa 100.000 in den arktischen Gewassern leben, sind normalerweise sehr gesellige Lebewesen. Sie ziehen in Gruppen bis zu 10 Exemplaren durch die Meere und ernähren sich vornehmlich von grösseren Fischen, Krebsen und Tintenfischen.
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Der Beluga, das bedeutet Weißwal, ist ein enger Verwandter des Narwals, der sich durch den langgezogenen Stosszahn von ersterem unterscheidet. Der Beluga besitzt keine Rückenflosse, und typisch ist auch die hinter dem Kopf befindliche Einschnürung, die einem Nacken ähnelt. Ingos Exemplar jedenfalls konnte als besonders schönes Beispiel seiner Art gelten. Verspielt und ohne Scheu bewegte er sich zwischen den menschlichen Wesen, stubste sie fortwährend an, liess sich streicheln, knabberte an den Schwimmflossen. Doch es war ein Spiel nach seinen Regeln. Aufdringlichkeit seitens der Taucher quittierte er mit sichtlichem Missvergnügen. Zwei, drei Jahre tauchte er immer wieder, und das unverhofft, an bestimmten Stellen auf. Ob er das auch in den nächsten Jahren tun wird, ist eher fraglich, denn irgendwann wird es ihn sicherlich wieder zu eigenen Artgenossen ziehen.

Arnd Rödiger
Ehrenmitglied im TC Delphin Taunusstein